Ob das Spielen erlaubt sey?
 
Das Spielen ist gegenwärtig eine so gemeine und in der artigen Welt so nothwendige Sache geworden, daß man kaum den Namen eines gesitteten Gesellschafters behaupten kan, wenn man in der Spielkunst ganz unerfahren ist. (...)


Nun komme ich auch auf meine Frage, ob es einem vernünftigen Mann keine Schande seye, seine Zeit manchmal mit Spielen zuzubringen, oder: ob das Spielen erlaubt sey? (...)

Es ist gewiß, ein Spiel mit Freunden und ehrlichen Leuten nach geschehener schwerer Arbeit, oder bey einer andern müssigen Stunde, ist im Stande, unser Gemüth dergestallt zu ermuntern, und unsere Seele so aufzuheitern, daß wir zu allen Verrichtungen geschickt werden; wir ruhen mit unserer ganzen Menschheit aus, und die Verschiedenheit der Spiele sezzet die Menschen in eine so angenehme Unordnung, welche die spielenden Freunde um so viel mehr ergözzet, je mehr sich das Spiel drehet und abwechselt. So erlaubt und nützlich es ist, an einem reizenden Frühlings- oder Sommer-Tag in angenehme Gegenden und Felder zu spaziren, und sich durch den Spazirgang zu ermuntern und zu bewegen; so erlaubt ist es auch, bey einem trüben unfreundlichen und stürmischen Wetter in der Stube und an dem Spieltische zu sizzen, und die Freunde, die man schon lange genug mit Gesprächen unterhalten und fast ermüdet hat, mit einer practischen Betrachtung von der wunderlichen Veränderung und dem ungegründeten Abwechsel des wankelmüthigen Glückes auf einige Zeit durch das Spiel zu ergözzen: denn von vernünftigen Leuten kann man ohnedem fordern, daß sie bey ihren guten und nicht gewinnsüchtigen Absichten dem Spielen auch nicht nachhängen, Geschäfte dadurch versäumen, etwas gutes hintansezzen, oder ihrer Gesundheit durch langes Sizzen, Schlafbrechen, Aergern, und dergleichen schaden würden. Das Spielen wird nur, wie mehrere andere Sachen, durch einen groben Misbrauch böse: gesezt, daß ein kluger und sonst grosser Geist öfters alle Tage eine halbe, eine ganze Stunde dem Spiel widmet, sollte die Handlung unerlaubt seyn?

(1756, als Vorbemerkung zur Spielesammlung "Die Kunst, die Welt mitzunehmen in den verschiedenen Arten der Spiele, so in Gesellschaften höheren Standes üblich sind")